Ostern

04.04.2021

"Das Grab ist leer"

Es gibt Erlebnisse, die in uns eine überwältigende Freude erzeugen. Wir sind tief berührt, erleben unaussprechliches Glück: Geburt eines Kindes, Rettung aus großer Gefahr, Heilung einer Krankheit, das Finden nicht mehr für möglich gehaltenen Glücks, die große Liebe, das Wiedersehen, die freundliche Hand des Partners, die Arme, die einen geborgen umschließen, frei zu sein, ... ein Sonnenaufgang am Meer, die Tautropfen auf dem Gras, in denen sich tausendfach die Sonne spiegelt, ... überwältigt von Freude. Vielleicht ein innerer Jubel, vielleicht auch hörbar, singen möchte man, ... oder man bekommt keinen Ton heraus vor Glück.

So geht es den Frauen, als sie vor dem leeren Grab stehen: Jesus lebt. So geht es den Jüngern, die den Auferstandenen erkennen: Jesus lebt. Ostern ist das Fest der Freude.

Ostern ist das Fest der Freude, die so tief ist, weil sie zuvor hinabgestiegen ist in die Trauer, den Schmerz, den Zweifel und den Tod von Karfreitag: Jesus ist tot.

Von genau dieser tiefen Freude, die Trauer, Schmerz, Zweifel und Tod durchschritten hat, erzählt uns die Geschichte von der Auferstehung: Mt 28,1-10.

Ich glaube, es gibt eine Absicht, die hinter allen biblischen Geschichten der Evangelien steckt, nämlich die:

Die Geschichten sagen uns: Liebe Menschen schaut euch zunächst euer Leben an, und dann hört die Geschichte, die euch das Evangelium erzählt. Schaut euch beides an, und versteht dann, weil ihr euer eigenes Leben darin seht:

Seht her, das ist euer Leben: da ist Zweifel, da ist Leiden, da ist Schmerz, da ist Verrat, da ist Tod, ... und seht her, das ist auch euer Leben, da ist Freude, da ist Geburt, da ist Heilung, da ist Liebe, da ist Gelingen, da ist Geborgenheit, da ist Heimat, da ist Hoffnung. ...

Und dann, liebe Menschen, seht und lest die Geschichte von Jesus: Da ist Verrat, da ist Zweifel, da ist Leiden, da ist Schmerz, da ist Tod, wie in euerem eigenen Leben, und da ist in der Geschichte von Jesus Freude, Geburt, Heilung, Liebe, Gelingen, Geborgenheit, Heimat, Hoffnung, da ist Auferstehung, ... wie in eurem eigenen Leben.

Die Geschichte von der Auferstehung kann uns darum so sehr berühren, weil sie unsere Geschichte ist: Jesus durchlebt alles dass, weil er mir gleich sein will, weil er mich verstehen will, weil er mit mir verbunden sein will, weil es auch in meinem Leben vorkommt: Leiden, Schmerz, Verrat und Tod. Und er zeigt mir: Damit ist aber nicht alles zu Ende, der Tod hat nicht das letzte Wort. Die Liebe siegt. Christus ist auferstanden. Jesus geht durch die Dunkelheit von Karfreitag, weil es auch in unseren Leben Dunkelheit gibt, und Jesus geht ins Licht der Auferstehung, weil es auch so in unserem Leben sein wird. Der Tod hat nicht das letzte Wort.

Als die Frauen zum Grab kommen, ist das Grab leer.

Natürlich: Das Grab ist leer. Damit wir es mit neuem Leben gefüllt werden kann, muss es zuerst leer sein. Leere und Fülle, der ewige Lauf des Seins: Will ich etwas empfangen, muss ich leer sein. Ich werde voll und wenn ich es weitergebe, werde ich wieder leer, und wieder voll. Das Grab ist leer, damit es voll werden kann von unserer Liebe, die wir in unserem Leben weitergeben können.

Das ist der Weg unseres Lebens und der Weg der Dinge dieser Welt:

Das Wasser muss aufsteigen, die Sonne saugt es auf, nach oben, es steigt auf, um dann wieder herabzufallen, die Erde zu befeuchten, dass Leben wachsen kann, und es steigt wieder auf, um erneut zu sinken. Steigen und Sinken.

Die Dunkelheit legt sich auf die Welt in der Nacht, dass wir ruhen, und weicht, dass wir erwachen und leben. Und wieder kommt eine Nacht und ein Tag. Tag und Nacht.

Die Wärme des Sommers, die Kälte des Winters, ... Geboren werden und Sterben, ... umschließen und freigeben, ... vorwärts und rückwärts, voranschreiten und zurückweichen, lebendig und tot ...

Der Weg unseres Lebens.

Wir geben und werden leer, dass wir empfangen können und voll werden, und wieder geben können. Der Weg unseres Lebens, ...

Und Gott gibt sich als Geheimnis aller Dinge in dieses Leben hinein, er erlebt alles das, was wir erleben: Herabfallen, Aufsteigen, Tag und Nacht, Wärme und Kälte, Geboren werden und Sterben, gefangen und frei, lebendig und tot.

Lebendig und tot. Und schließlich enthüllt Gott das tiefste Geheimnis dieses Weges: Der Tod ist nicht das Letzte. Da ist Auferstehung, das Grab ist leer. Der Leere folgt die Fülle.

Amen.