Wie ich als Kind das Nichts entdeckte
Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich als Kind nachts aufstand und sehen wollte, ob es stimmt, dass im Fernsehen in der Nacht tatsächlich nichts gezeigt würde. Ich schaltete das Gerät ein und war fasziniert. Nichts. Ich starrte gebannt ... auf Nichts. ...
Nichts. Es gab als Kind Zeiten, in denen nichts geschah. Das tat gut. Denn die Dinge zwangen einen nicht, jetzt etwas zu tun. Es gab Zeiten, in denen etwas möglich war (die Sendezeiten, zu denen ich fernsehen konnte), und es gab Zeiten, in denen es nicht möglich war (nachts das Nichts, nur das Testbild und Rauschen im Fernsehen).
Heute ist vieles immer möglich, und es gibt dann keine wirklich feste Zeit, wann etwas geschehen kann und wann nicht.
Arbeitszeit, Einkaufen, Filme schauen, alles geht immer. Ich muss mir hingegen Zeit schaffen, in der Nichts sein kann.
Wofür ist Nichts gut? Um an Dinge und Geschehnisse zu denken, die waren? Um an Dinge und Geschehnisse zu denken, die sein werden? Ich erinnere und verarbeite Geschehenes, ich sorge mich, ich arbeite auf, ich plane Zukünftiges, ich sorge vor. Und schon ist es vorbei mit dem Nichts. Wofür ist das Nichts gut?
Ich könnte auch versuchen, ganz im Augenblick zu bleiben. Nicht in der Vergangenheit, nicht in der Zukunft. Im Augenblick. In der Gegenwart. Und sehen, was ist: Jetzt.
Ich mache das, nicht weil ich begreifen und verstehen will, was war und was sein wird, sondern ich mache das, weil ich wahrnehmen will, was jetzt ist.
Weil ich es wirklich sehen will.
Ich will diesen Augenblich sehen und erleben: Unter dem Baum stehen, sehen, wie das Blatt langsam zu Boden fällt, ... den Wind spüren, die Sonne auf der Haut, ich höre das Rauschen der Blätter, ich höre eine Stimme, ich spüre mein Herz schlagen, ich spüre das Gras, auf dem ich stehe, ich rieche die warme Rinde des Baumes, die Würze des Windes, ich spüre die Wärme in meinen Händen.
Sie spüren jetzt vielleicht das Papier des Monatsbriefes in Ihren Händen. Den Stuhl, auf dem Sie sitzen, ... so viel mehr. Weil es jetzt ist, weil es da ist, weil es schön ist. Im Augenblick sein, im Jetzt sein.
Die Frage ist nicht: Was muss ich tun, um zu erreichen, im Augenblick zu sein?
Sondern die Frage ist: Was mache ich eigentlich die ganze Zeit, dass ich den Augenblick nicht in seiner Unmittelbarkeit erlebe?
Das Bei-sich-Sein, das Eins-Sein in diesem Augenblick ist nicht ein Ergebnis, was ich erst erzielen muss, sondern es ist der Grundzustand, der immer da ist. Das Problem ist nur: Ich mache so vieles, um mich davon abzulenken. Und dafür ist das Nichts wichtig, nur in dieser Zeit der Stille, des Nichts ist es mir möglich, den Augenblick wahrzunehmen, ganz im Jetzt zu sein, zu sehen und zu erleben, was ist.
Um da zu sein, müssen wir nicht üben, da zu sein, sondern wir müssen üben, aufzuhören, der Stille zu entfliehen. In der Stille habe ich die Möglichkeit zu sehen, was ist.
Nichts. Was habe ich, wenn ich mehr habe? Was bleibt mir?
Ich sage: mein Atem. Wenn ich nichts mehr habe, dann habe ich noch meinen Atem. Ich atme ein, ich atme aus. Mit meinem Atem bin ich verbunden mit dem Atem des Lebens, das einatmet und ausatmet. Das Leben, das neu wird, das neues Leben einatmet. Das Leben, das Vergangenes ausatmet. Einatmen, ausatmen. Wenn ich nichts mehr habe, habe ich noch meinen Atem. Habe ich den nicht mehr, bin ich tot. Mit meinem Atem bin ich verbunden mit dem ewigen Ein- und Ausatmen des Lebens, Tag und Nacht, Werden und Vergehen. Mit meinem Atem bin ich verbunden mit der Welt, bin ich verbunden mit Gott, dem ewigen Atem. Verbunden mit Gott, in der Wahrnehmung dessen, was ist, selbst wenn ich nichts mehr habe.
Gott, du Atem aus der ewigen Stille. Amen.